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Der Drache, Schwarz

Staatstheater Augsburg, Augsburg, Deutschland

„Liegt man warm und weich, soll man schlummern und schweigen.“

Jewgeni Schwarz „Drache“, geschrieben 1943 in den Schrecken des Krieges, ist eine politische Märchenparabel auf Diktatur und Untertanengeist – und dabei so sehr auf den Punkt, dass sie im Jahr ihrer Entstehung nach nur zwei Generalproben für 17 Jahre verboten wurde, bis einer der Drachen, die der Autor bei der Abfassung seines Werkes wohl im Sinn hatte – Stalin – schon mehr als sieben Jahre unter der Erde lag.

Der berufsmäßige Drachentöter und Held Lanzelot tritt an, um eine Kleinstadt nach vierhundert Jahren Leid und Unterdrückung aus den Klauen eines Drachen zu befreien, und bekommt es dabei nicht nur mit der Monstrum selbst, sondern vor allem auch mit den verängstigten Bürgern zu tun, die das Unrechtsregime des Drachen so sehr verinnerlicht haben, dass sie es selbst gegen ihren potentiellen Befreier zu verteidigen suchen. Und auch nach dem Tod der tyrannischen Bestie findet das Städtchen nicht den Weg in die Freiheit, sondern endet in der Diktatur des Bürgermeisters, der unter dem Zeichen von Demokratie und Menschlichkeit die alte Schreckensherrschaft des Drachen fortführt. Lanzelot erkennt: um mündige und freie Menschen zu schaffen, genügt es nicht, einem Untier das Haupt abzuschlagen. Der Kampf gegen Tyrannei muss vielmehr im Kopf eines jeden Einzelnen gewonnen werden.

Jewgeni Schwarz hat in seinem Drachen die Wurzel der russischen Misere klar benannt, die sich bis in unser Heute fortschreibt. Es kann nicht gelingen, eine Gesellschaft zu befreien, wenn diese nichts mit der Freiheit anzufangen weiß, und sich sogar vor ihr fürchtet. Dabei zeichnet das Stück auf polemisch-humoristische Weise alle kleinen Ausreden und Selbstlügen nach, mit denen die Bürger ihre Knechtschaft als die beste aller Lebensformen erscheinen lassen wollen, ebenso wie die zahlreichen Unterdrückungsstrategien der Despoten – vom allgemeinen Spitzelwesen, einer gesteuerten Presse, der Verhaftung Unliebsamer bis hin zum Heraufbeschwören scheinbarer Bedrohungen von Außen. Dies alles ist dem heutigen Publikum leider nur all zu gut bekannt, da sich die Seuche der Unfreiheit auf allen Kontinenten wieder auszubreiten scheint.

 

Gerade durch sein ungewöhnliches Genre eröffnet Schwarz' politisches Märchenstück die Möglichkeit, die heutige Weltlage mit ironischer Distanz und sogar comichafter Übertreibung zu reflektieren und zu kommentieren. Dabei geht der Scherz nicht nur zu Lasten der allseits bekannten starken Männer und deren von Macht, Angst und Geld korrumpierter Gefolgschaft, sondern auch auf Kosten der vermeintlichen Befreier, die moralisch mit sich im Reinen glauben westliche Demokratie- und Wertvorstellungen ließen sich mit ein bisschen Waffengewalt einfach in alle Ecken der Welt exportieren – oder ging es am Ende doch nur um Absatzmärkte und Coca-Cola?

Mit: Ute Fiedler, Elif Esmen, Sebastian Müller-Stahl, Florian Gerteis, Kai Windhövel, Patrick Rupar, Andrej Kaminsky, Stefanie von Mende, Tom Dittrich, Thomas Hell

Regie: Andreas Merz Raykov

Ausstattung: Jan Hendrik NeidertLorena Diaz Stephens

Musik: Stefan Leibold

Dramaturgie: Sabeth Braun

Fotos: Jan-Pieter Fuhr

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